Kryptographie in Theorie und Praxis im deutsch-französischen Kontext (1300-1800)

Kryptographie in Theorie und Praxis im deutsch-französischen Kontext (1300-1800)

Veranstalter
Universität Heidelberg
PLZ
69117
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
11.04.2024 - 12.04.2024
Deadline
30.04.2023
Von
Eveline Szarka, Universität Heidelberg, Historisches Seminar

Tagung zur Theorie und Praxis der Kryptografie im deutsch-französischen Kontext (1300-1800).

Kryptographie in Theorie und Praxis im deutsch-französischen Kontext (1300-1800)

In der Vormoderne spielte eine erfolgreiche Nachrichtenübermittlung wie heute eine zentrale Rolle im öffentlichen wie im privaten Leben. Funktionierende Verwaltung, effektive Umsetzung politischer Entscheidungen, Koordinierung militärischer Operationen, Handel oder auch nur die Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher Fernkontakte waren ohne schriftliche Kommunikation kaum denkbar. Sender:innen und Empfänger:innen gingen davon aus, dass die übermittelten Informationen nur jenen zugänglich sein sollten, für die sie auch ausdrücklich bestimmt waren. Doch das war keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Denn seit es Post gibt, gibt es auch Postspionage. Das gängigste Mittel, den Inhalt eines Schreibens vor unbefugtem Lesen zu schützen, bestand darin, alles oder zumindest die geheimsten Passagen zu verschlüsseln.

Dem steigenden Bedürfnis nach immer raffinierteren Methoden zur Sicherung von Informationen versuchten die Autoren kryptologischer Handbücher und Traktate zu begegnen. Literatur, die Anleitungen zum Ver- oder Entschlüsseln von Texten enthält, gibt es spätestens seit dem 16. Jahrhundert. Die Forschung interessiert sich diesbezüglich hauptsächlich für die Entwicklung der polyalphabetischen Substitution, wobei die These vertreten wird, dass die wichtigsten Erfindungen in die Zeit vor 1600 fielen. Ein anderes Bild zeichnet Katherine Ellison in ihrer Studie zu englischen Kryptographie-Handbüchern des 17. Jahrhunderts (A Cultural History of Early Modern English Cryptography Manuals, 2017). Nicht nur seien die entsprechenden Methoden durchaus innovativ und originell gewesen; in ihnen würden sich auch die Bemühungen der Autoren widerspiegeln, eine breite Leserschaft mit unterschiedlichen Vorkenntnissen anzusprechen. Ellison hält zudem fest, dass sich die Handbücher an eine Gesellschaft richteten, die sich angesichts des Bürgerkriegs wegen politischer, sozialer, religiöser und wissenschaftlicher Unruhen in „crises of expression“ (S. 1) befand. Historiker:innen untersuchen sporadisch auch das Verhältnis zwischen kryptographischer Theorie und Praxis – diesbezüglich besteht jedoch noch viel Forschungsbedarf.

Auch die kryptographische Praxis ist in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus der Forschung gerückt. Einen wichtigen Anstoß dazu gab eine 2013 von Anne-Simone Rous in Gotha organisierte Tagung (https://www.hsozkult.de/event/id/event-70909) sowie der gemeinsam mit Martin Mulsow herausgegebene Sammelband (Rous/Mulsow: Geheime Post, 2015). Hier wurde wohl auch der Grundstein zu einem weiterreichenden Forschungsverbund gelegt, in dem sich unter dem Namen HistoCrypt neben Historiker:innen auch an historischer Kryptographie interessierte Mathematiker:innen, Informatiker:innen und Linguist:innen zusammenschlossen (https://histocrypt.org/). Die im Zuge der HistoCrypt-Tagungen vorgestellten Beiträge betreffen vornehmlich die Auflösung noch nicht entschlüsselter Kryptogramme, die Analyse von Kryptographietechniken oder die Vorstellung interdisziplinärer Projekte wie etwa die Decode Database (https://de-crypt.org/decrypt-web/RecordsList). Hier seien vor allem die unter der Leitung von Beáta Megyesi entstandenen Arbeiten zur Architektur frühneuzeitlicher Nomenklatoren genannt, welche die Kenntnis der Materie erheblich vorangebracht haben.

Während zumindest für Ungarn mittlerweile eine Monographie zur kryptologischen Praxis vorliegt (Benedek Láng, Real Life Cryptology, 2018), fehlt es für den Rest Europas noch immer an größeren, jahrhundertübergreifenden Studien. So liegen weite Teile der Geschichte der frühneuzeitlichen Kryptographie weiterhin im Dunkeln. Diese zumindest teilweise – für einen deutsch-französischen Kontext – aufzuhellen und damit neue Forschungen anzustoßen hat sich die geplante Tagung zum Ziel gesetzt. Drei Desiderate der historischen Kryptographieforschung sollen dabei besonders berücksichtigt werden.

Der erste Bereich betrifft die kryptologische Instruktionsliteratur. Während die englischen Handbücher vergleichsweise gut erforscht sind, fehlt es bis heute an eingehenden historischen Kontextualisierungen jener Werke, die in Deutschland und Frankreich publiziert wurden. Dabei interessieren einerseits die Autoren, ihre Berufe und Netzwerke, andererseits, aus welchen Gründen und für welche Personenkreise sowie Kontexte sie kryptologische Literatur publizierten. Weiter soll danach gefragt werden, wie die jeweiligen Autoren versuchten, die Kryptologie als Gegenstandsbereich taxonomisch und terminologisch fassbar zu machen, wie sie die Bücher aufbauten, bestehendes kryptologisches Wissen reflektierten sowie optimierten und wie sie es medial und rhetorisch vermittelten (bspw. Grafiken, Tabellen). Auch das Spannungsfeld zwischen kryptographischer Theorie und Praxis soll ausgelotet werden. Im Zentrum soll nicht nur die Frage stehen, inwiefern sich die Literatur auf die kryptographische Praxis auswirkte: In der Annahme, dass sich Praxis und Theorie stets gegenseitig bedingen und formen, soll auch danach gefragt werden, wie die kryptographische Praxis und die zeitgenössischen sozio-kulturellen Bedingungen die Literatur beeinflussten.

Zweitens: Naturgemäß hat sich die Forschung bislang auf die Diplomatenkorrespondenzen konzentriert, denn hier finden sich zweifelsohne die meisten verschlüsselten Briefwechsel. Weit weniger Aufmerksamkeit wurde den Verwaltungen – allen voran den übergeordneten Fachministerien – zuteil, deren Aufgabe die Ausarbeitung der Nomenklatoren war. Hier gab es bisweilen sogar eigens mit der Verschlüsselung betraute Abteilungen – in Frankreich etwa das „bureau du chiffre“ im französischen Außenministerium im 18. Jahrhundert –, über deren Arbeit so gut wie gar nichts bekannt ist. Wer bereitete z.B. für die von Frankreich ins Alte Reich oder nach Europa gesandten Diplomaten die Schlüssel vor, nach denen sie ihre Korrespondenz zu chiffrieren hatten? Wie sah es bei den Reichsständen aus, in denen die Bürokratisierung der Arbeit der Ministerien nicht selten weniger ausgeprägt war bzw. weitaus weniger Personal vorhanden war als Frankreich? Auch über die staatlich organisierte Postspionage, der ja die Verschlüsselung entgegenwirken sollte, ist noch wenig bekannt. Zwar gibt es Ansätze zur Erforschung dieser als „Cabinets noirs“ bezeichneten Spionagezentren, etwa durch die Pionierarbeit Stewart Oakleys (The Interception of Posts in Celle, 1694-1700, 1968) zu Celle oder durch die Studien Karl de Leeuws zur Postspionage in den Niederlanden (The Black Chamber in the Dutch Republic during the war of the Spanish Succession and ist aftermath, 1707-1715, 1999), doch stehen vergleichbare Untersuchungen für andere Länder noch aus. Selbst zu Frankreich, wo die Postspionage, glaubt man den Zeitgenossen, flächendeckend und systematisch ab der Regierungszeit Ludwigs XIV. gewesen sein soll, gibt es, abgesehen von dem 1950 erschienenen Buch Eugène Vaillés (Le Cabinet noir, 1950), keine neuere Arbeit. Schließlich sei auch auf die fehlende Forschung (mit Ausnahme von Lángs Buch) zu Verschlüsselungspraktiken in Privat- und Geschäftsbriefen hingewiesen.

Drittens: Auch über zentrale Aspekte der Verschlüsselungspraxis sind wir bislang nur lückenhaft unterrichtet: Nach welchen Regeln und wann entschieden die Briefschreiber, einen Teil ihrer Korrespondenzen zu verschlüsseln und den Rest unverschlüsselt zu lassen? Welche Vorgaben erhielten sie von aus ihren Ministerien und Kabinetten? Hing Chiffrierungspraxis auch mit dem Rang des Absenders (General, Botschafter, Gesandter, Agent, Resident, Konsul) zusammen? Gab es neben der Wichtigkeit oder Geheimhaltungsstufe einer Information noch andere Gründe, etwa institutioneller, politischer oder persönlicher Art, Textstellen zu verschlüsseln? Kann sich der Umstand zu verschlüsseln, etwa auf reine Gewohnheit und persönliche Routine zurückführen lassen? Hängt die Verschlüsselungsfrequenz auch von der Verfügbarkeit eines Sekretärs ab? Welche Rolle spielen die für die Versendung gewählten Postlaufwege? Die bislang durchgeführten quantitativen Studien zu einzelnen Korrespondenzen oder Korrespondenzserien (nach chronologischen oder geografischen Gesichtspunkten) haben es nicht erlaubt, modellhafte Entwicklungsschemata herauszuarbeiten. Nach qualitativen Gesichtspunkten angelegte Analysen haben hingegen gezeigt, dass die Verschlüsselung immer stark vom politischen Kontext am Absendeort abhängen.

All dieser Fragen hofft sich unsere Tagung annehmen zu können. Aufgrund der Intensität der französisch-deutschen Beziehungen seit dem späten Mittelalter sowie der oben erwähnten Forschungsdesiderate wird ein geographischer Schwerpunkt auf Beispiele aus diesem Kontext gesetzt. Die Veranstalter freuen sich deshalb über Vortragsvorschläge, die sich mit der kryptographischen Theorie und Praxis in Deutschland oder Frankreich, bzw. mit Kryptographie im Rahmen deutsch-französischer Beziehungen beschäftigen.

Im Hinblick auf diese Forschungsperspektiven werden Beiträge, die sich mit den folgenden Fragestellungen befassen, bevorzugt behandelt:

- Geschichte der Kryptographieliteratur (Autoren, Entstehungskontexte, intendiertes Publikum, Aufbau sowie Systematisierung, Rezeption, Entwicklung und Vermittlung der Techniken).
- Untersuchungen zum Einfluss von Kryptographieliteratur auf die Praxis und vice versa.
- Verwaltung von Kryptographie und Postspionage in Ministerien.
- Arbeit der Schwarzen Kabinette (Praxis der Postspionage).
- Entwicklung der Verschlüsselungstechniken.
- Fallstudien: Quantitative und qualitative Analyse von verschlüsselten Passagen in Korrespondenzen.

Vortragsvorschläge (400 Wörter mit einem kurzen Lebenslauf) können bis zum 30. April 2023 auf Deutsch, Französisch oder Englisch an folgende Adresse: kryptographie.tagung2024@gmail.com gerichtet werden. Der wissenschaftliche Beirat der Tagung entscheidet im Laufe des Monats Mai 2023 über die Auswahl der Beiträge.

Arbeitssprachen
Französisch, Deutsch, Englisch

Organisation
Camille Desenclos (Université de Picardie Jules Verne / CHSSC, EA-4289, camille.desenclos@upicardie.fr)
Sven Externbrink (Universität Heidelberg, sven.externbrink@zegk.uni-heidelberg.de)
Eveline Szarka (Universität Heidelberg, eveline.szarka@uni-heidelberg.de)
Jörg Ulbert (Université Bretagne Sud, Lorient / TEMOS, UMR-9016, jorg.ulbert@univ-ubs.fr)

Wissenschaftlicher Beirat
Dejanirah Couto (École pratique des hautes études / SAPRAT, EA-4116)
Camille Desenclos (Université de Picardie Jules Verne / CHSSC, EA-4289)
Sven Externbrink (Universität Heidelberg)
Benedek Láng (Eötvös Loránd University)
Béata Megyesi (Uppsala Universitet)
Eveline Szarka (Universität Heidelberg)
Jörg Ulbert (Université Bretagne Sud / TEMOS, CNRS UMR-9016)

Kontakt

kryptographie.tagung2024@gmail.com